Autorin: Cristina Marti Schneider
Dank Walter Maier gelangte das Buch des Wahren Lebens (BdWL), das aus 12 Bänden besteht, 1974 nach Deutschland und somit in den deutschsprachigen Raum Europas.
Walter Maier und seinem Gehilfen, Traugott Göltenboth, fiel während des Übersetzens des ersten Band des BdWL auf, dass der Begriff der Seele in den spanischen Texten des BdWL nicht vorkam. Im folgenden Auszug aus seiner Autobiographie beschreibt Walter Maier diesen Sachverhalt:
„Nachdem Herr Gölthenboth und ich ungefähr die Hälfte des Band I vom Buch des Wahren Lebens“ übersetzt hatten, wurde uns eines Tages bewusst, dass in den Göttlichen Unterweisungen nicht ein einziges Mal das Wort „Seele“ erwähnt wurde. Es erschien uns eigenartig und unerklärlich, dass Christus in Seinen geistigen Belehrungen nie über die menschliche Seele, ihre Bedeutung und Entwicklung sprach. Bei unseren „Arbeitstreffen“ sprachen wir oft über das Problem, ohne eine vernünftige Erklärung zu finden. Ich empfand es als eine persönliche Herausforderung, der Sache auf den Grund zu gehen: Denn während vieler Jahre hörte ich in Mexiko die Belehrungen Christi, und es war mir damals nicht bewusst geworden, dass Er nie die Seele erwähnte, sondern sich immer nur auf den „Geist“ bezog. Deshalb entschloss ich mich, persönlich Nachforschungen anzustellen. Die Situation war auch deshalb so unverständlich, weil – während Christus in Seinen Unterweisungen die „Seele“ nicht erwähnte – unsere „Schutzgeister“ im kleinen Kreis uns über die „Seele“ und ihre Entwicklung belehrt haben.“
Lit: Walter Maier: Zeitzeuge der Göttlichen Belehrungen in Mexiko – Erlebnisse und gewonnene geistige Erkenntnisse, S. 40. Überarbeitete Neufassung durch Armin Thöne, September 2024.
Es stellt sich also die Frage, weshalb der göttliche Meister die Seele kaum in Seinen Lehransprachen erwähnte und stattdessen viel über den menschlichen Geist, den göttlichen Funken im Menschen, sprach. Nach gründlichem Studium der Göttlichen Offenbarung von Mexiko wird ersichtlich, dass der menschliche Geist im Zentrum des Buch des Wahren Lebens steht. Die große Offenbarung der Dritten Zeit ist u.a. der Geist, der als Kind Gottes sich im Laufe seiner geistigen Entwicklung befleckt hat und nach göttlichem Willen rein und vollkommen zum göttlichen Schoss zurückkehren soll. (U. 359,68) Über dem Geist steht das Gewissen, das göttliche Licht im Menschen, nach dem sich der Geist freiwillig auszurichten hat. Der Geist ist rein geistiger Natur, essenziell, während die Seele substanziell ist, sprich den feinstofflich-materiellen Dimensionen angehört. Der Göttliche Meister überließ die Erklärung dieser niederer-materiellen Dimensionen und Sachverhalte, der Geistigen Lichtwelt, die in ihren wöchentlichen Erläuterungen der damaligen Zuhörerschaft die göttlichen Unterweisungen runterbrach und ihrem Verständnis näherbrachte.
In der Autobiographie erklärt Walter Maier, wie es dazu kam, dass sie sich ab dem Band II dazu entschieden, den Begriff der „Seele“ in den deutschen Übersetzungen des BdWL zu integrieren.
„Im Band I des „Buch des Wahren Lebens“ haben wir noch durchgehend nur „Geist“ (für span. „espíritu“) übersetzt, bis wir dann die Trennung wagten, die übrigens auch rein sprachlich notwendig war, denn in „Langenscheidts“ Wörterbuch wird „Geist“ gleichwertig neben „Seele“ gestellt, so dass jedermann aussuchen kann, welches Wort ihm besser zu passen scheint. Dies war auch ein Grund der Verwirrung, und erst aus geistiger Erkenntnis kann die richtige Benennung vorgenommen werden. Bemerkenswert ist, dass in den spanischen Originalbüchern – „Libro de la Vida Verdadera“ (LVV) – inhaltlich zwischen „Geist“ und „Seele“ unterschieden wird, wenn auch das Wort Seele nicht erwähnt wird. Wir finden z.B. einerseits in den Erläuterungen Christi, welcher Art Sein Geist ist, und dass unser individueller Geist ein Funke Seines Geistes ist. Andererseits spricht der Herr oft von unserem Verstand, unseren Gedanken, Gefühlen, Empfindungen und Sinnen; alles Funktionen, die der Seele zugerechnet werden und mit „Geist“ nichts zu tun haben. In Band II und den folgenden übersetzten wir nur solche Stellen mit „Seele“, die eindeutig sich auf dieselbe beziehen, während alle Stellen nur mit „Geist“ übersetzt werden, wenn sie sich auf den Göttlichen Geist, auf alles Göttliche und auf unseren individuellen Geist beziehen. Letztere sind die Mehrheit der Fälle, denn der Kern der Geisteslehre des Herrn gemäß den Offenbarungen in Mexiko, ist und bleibt der Geist.“
Lit: Walter Maier: Zeitzeuge der Göttlichen Belehrungen in Mexiko – Erlebnisse und gewonnene geistige Erkenntnisse, S. 42. Überarbeitete Neufassung durch Armin Thöne, September 2024.
Nun stellt sich die Frage, weshalb der Begriff der Seele in den deutschen Übersetzungen nachträglich durch Walter Maier und Traugott Göltenboth eingesetzt wurde, obwohl diese nach seinen eigenen Worten im BdWL schon mit den Begriffen „Verstand, Gedanken, Gefühlen, Empfindungen und Sinnen“ umschrieben und tatsächlich auf diese Weise erwähnt wird?
Seit 1866 befinden wir uns in einer neuen Ära, jener der Dritten Zeit. Jetzt bricht die geistige Morgenröte an und wir sollen als Menschheit einen gewaltigen Schritt ins geistige Erwachen tun. Wir sollen uns als geistige Wesen erkennen, die weder Zeit noch Raum untergeordnet sind. Nicht die weltliche und veraltete Langenscheidts Definition von „Seele/Geist“ ist für den spanischen Begriff „espíritu“ des BdWL anzuwenden, sondern die uns neu offenbarte Definition des göttlichen Funken im Menschen, welcher ausschließlich der Geist ist. Die Seele, unser Denken und Fühlen, hat sich nach dem Geist zu richten, und dieser nach dem Licht seines Gewissens. (U. 59,56)
Leider wurden die oben ausgeführten Korrekturen an der Originalschrift des Libro de la Vida Verdadera in den deutschen Bänden VI-XII des BdWL weitergeführt, so dass auch der Begriff des „Gewissens“ wegfiel. Das Gewissen stellt jedoch jenes göttliche Licht im Menschen dar, nach welchem sich der Geist auszurichten hat, um sich zum Göttlichen zu erheben und durch das Gewissen mit Gott Selbst in der direkten Zwiesprache von Geist zu Geist zu treten.
Aufgrund dieser Umstände fiel der Entschluss eine revidierte Fassung der deutschen Übersetzung des BdWL herauszugeben, wobei bei den Bänden I-V nur die Begriffe „Geist“ und „Gewissen“, anstelle von „Seele“ oder „Geist“, dem spanischen Original getreu eingesetzt wurden. Bei Band VI-XII wurde jedoch eine wortgetreue Übersetzung des spanischen Originals angestrebt. Neben der gelungenen und schönen Übersetzung von Traugott Göltenboth gibt es nun, wie es bei der Bibel schon lange der Fall ist, eine wortgetreue Fassung, die der interessierten Leserschaft ermöglicht, dem spanischen Original auf den Grund zu gehen.